Die ZEIT - super bericht !! Mitch und Baseball

Lust auf ein Schwätzchen, das nicht unbedingt was mit Baseball zu tun hat? Kein Problem, dann hier hinein.
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kc
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Beitrag von kc »

mir faellt auf, dass wir gar kein pressebereich haben wie beim dbv.... komisch... hab ueberlegt unter allgemein oder smalltalk... wo bin ich... ?? :???:

hier bericht - uebrigens auch im dbv forum...

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SPORT

Homer in der Wüste

Ein Deutscher will es auf den amerikanischen Baseball-Olymp schaffen


Von Matthias Zuber

Innerhalb einer halben Sekunde muss er sich entscheiden. Seine Bewegungen koordinieren. Handeln. Eine halbe Sekunde bleibt ihm, das Richtige zu tun. So lange braucht das 150 Gramm schwere, mit Leder umnähte Korkstück, um von der Hand des Gegners in seine Zone zu gelangen. In die Strike Zone. Bewegt er seinen Schläger nicht oder verfehlt er den Ball, der das gedachte Rechteck zwischen Knie- und Achselhöhe passiert, kassiert er einen Strike. Nach drei Strikes ist es vorbei. Er ist draußen.

Passiert ihm das öfter, ist er ganz draußen, dann fliegt er wieder nach Deutschland zurück. Doch wenn er den Ball trifft und das trocken harte "Clock" über das Feld hallt, dann ist Mitch Franke im Himmel. "Das ist ein unbeschreibliches Gefühl von Macht, Leben, Glück, das einer, der noch nie geschlagen hat, überhaupt nicht nachvollziehen kann", sagt der 19 Jahre alte Strausberger. Doch keine Zeit, dieses Glück zu genießen. Nach dem "Clock" lässt Michael Franke, den alle Mitch nennen, sofort den Schläger fallen. Rennt los.

Die Beinmuskeln katapultieren seinen 85 Kilo schweren, 1,86 Meter langen Körper von der Homebase auf das Grün des Feldes hin zur First Base, einer viereckigen, weißen Plastikplatte. Dann wird Mitch Franke vom Batter zum Runner, vom Schläger zum Läufer. "Baseball ist definitiv mein Leben", sagt er. Doch um vom Baseball auch leben zu können, muss einer aus Strausberg schon in die Vereinigten Staaten. Nach Amerika.

Denn in Brandenburg wie in ganz Deutschland hat man trotz wachsendem Interesse an dem Sport aus Übersee kaum eine Chance, ernsthaft als Profi zu arbeiten. Etwa 30 000 Menschen schlagen hier regelmäßig den weißen Ball mit der roten Ledernaht über den grünen Rasen. Rund 400 Clubs gibt es in der Bundesrepublik. Einer von ihnen - die Strausberger Sun Warriors - ist stolz, dass aus seinen Reihen der erste Deutsche nach 45 Jahren von einem amerikanischen Profiverein unter Vertrag genommen wurde. Mitch Franke, Exsonnenkrieger, spielt seit drei Monaten für die Milwaukee Brewers. Jetzt noch in der untersten Profiliga: der Rookie League. Doch sein Traum ist es, sich in ein paar Jahren über A-Liga, AA-Liga und AAA-Liga bis zur Major League (MLB) ganz nach oben zu kämpfen.

Auf dieser höchsten Stufe spielen dann 30 Mannschaften den "besten Baseball des Universums", so schwärmte ein amerikanischer Sportjournalist. Über 20 Prozent der Spieler, die zurzeit in der MLB spielen, wurden nicht in den USA geboren. Weltweit, schätzt die Major League Baseball International (MLBI), gibt es etwa 40 Millionen Aktive. Das macht das 156 Jahre alte Baseballspiel zur drittgrößten Sportart der Welt. In Europa zelebrieren gerade einmal 120 000 Menschen das Duell zwischen Werfer und Schläger.

Wenn die Sonne aufgeht, ist er schon auf dem Platz

Die Sonne stemmt sich über die roten Berge. Die langen Schatten auf dem Wüstenboden schmelzen. Die Highways um Phoenix füllen sich mit dem ersten Berufsverkehr. Vollklimatisierte Blechkorsos wälzen sich in die Hauptstadt Arizonas. Am hellblauen Himmel ist nicht einmal der Streifen einer Wolke zu sehen. Es ist heiß. Das Thermometer klettert auf 45 Grad Celsius. Und das um 10 Uhr vormittags.

Seit zwei Stunden trainiert Mitch Franke auf dem Paul Molitor Field, einem von fünf Baseballfeldern im Trainingscamp der Brewers in Phoenix. Paul Molitor ist ein Held. Er ist der einzige Mensch auf der Welt, der in nur einem Spiel der World Series, der Baseball-Weltmeisterschaft, fünf "Hits" erzielte. Das heißt: Am 12. Oktober 1982 schlug der Mann mit der Nummer 4 auf dem Brewers-Trikot den Ball fünfmal so weit ins Feld, dass die gegnerische Mannschaft es nicht schaffte, die Lederkugel entweder direkt zu fangen oder zum First
Baseman zurückzuwerfen, bevor Molitor die First Base erreicht hatte. Seine Schlagfertigkeit brachte Molitor einen Platz im Olymp der Baseballgötter ein. Unter den 100 besten Spielern aller Zeiten hält er zurzeit Platz 81.

Der Schweiß tropft unter Frankes dunkelblauer Baseballmütze mit dem dicken weißen M. Mitch rennt mit 29 anderen jungen Männern über den grünen Rasen. Das Gras ist kurz und exakt rasiert, wie die Haare auf einem GI-Schädel. Einer der Trainer gibt Anweisungen, zeigt, wie man am geschicktesten eine Base anläuft. Franke macht einen zu ausladenden Bogen. So ein Fehler könne die Mannschaft wichtige Punkte kosten, schnarrt der Trainer militärisch scharf. Denn für einen Läufer ist beim Baseball Geschwindigkeit alles. Er muss schneller bei der nächsten Base sein, als es die Basemen oder Outfielder der gegnerischen Mannschaft schaffen, den Ball dorthin zu werfen - sonst fliegt er aus dem Spiel. Erst wenn ein Läufer die First, Second und Third Base hinter sich gelassen und die Homebase wieder erreicht hat, bekommt seine Mannschaft einen Punkt. Mitch Franke nickt und stellt sich wieder in die Reihe seiner Teamkameraden.

"Das Training hier ist tausendmal härter als zu Hause", sagt er. "Aber ich will es schaffen - I'll make it." Mit zwölf Jahren hat er angefangen, Baseball zu spielen. Hat Sonderschichten geschoben, statt wie seine Altersgenossen in die Disko zu gehen. Mit 14, nach der Jugendweihe, war er sechs Wochen in einem Trainingscamp der Brewers in Südafrika. Die Talentscouts hatten ihn bei einem Nachwuchstraining in den USA entdeckt; sie schätzten seine Fähigkeit, sowohl mit links wie auch mit rechts zu schlagen. Und sie boten ihm einen Vertrag an.

Um 14 Uhr ist die Hitze auf dem Platz kaum mehr zu ertragen. Die Bewegungen werden langsamer. Selbst die Bälle scheinen in der Luft zu stehen. Mitch Franke beendet sein Schlagtraining in einem der Käfige direkt vor dem Paul Molitor Field. Die schwarzen Netze wirken wie ein Raster, das jede Bewegung, jede Aktion, jeden Fehler erfasst. Vor ihrem Hintergrund wird die Leistung des Einzelnen transparent. Wurde der Ball getroffen? In welchem Winkel verließ er den Holzschläger? In welche Richtung flog er? Mit welcher Geschwindigkeit? Statistiken sind die Religion des Baseball. Alles wird gemessen, gezählt, verrechnet. Von den Hits, die ein einzelner Spieler macht in einer Saison, über die Runs, das geglückte Ablaufen aller vier Bases, bis hin zu der Häufigkeit, wie oft und in welche Richtung ein Spieler auf den Rasen spuckt. Jederzeit ist abrufbar für die Baseballindustrie: Wer ist gerade unten und wer oben?

Es ist wohl die Klarheit dieses Spiels, das die Amerikaner so fasziniert in einer Welt, die immer komplexer und unüberschaubarer wird. Klarheit nicht nur der Statistik, sondern der gesamten äußeren Anordnung. So schrieb Paul Auster in seinem Buch Von der Hand in den Mund: "Das jähe Gefühl von Weite ist so mächtig, dass man in den ersten Sekunden gar nicht weiß, wo man sich befindet. Alles ist plötzlich so riesenhaft, so grün, so perfekt geordnet ... In den nächsten zwei bis drei Stunden nimmt einen die Geometrie des Spielfeldes vollständig gefangen. Man ist mitten in der Stadt und zugleich in einem idyllischen Universum, in dem der Flug eines weißen Balls das Handeln von achtzehn erwachsenen Männern bestimmt." Das Baseballfeld als verlorenes Paradies, das für durchschnittlich 10 Dollar eine kurze Zeit lang zurückgewonnen werden kann.

Baseball ist in Amerika mehr als ein Sport. Es ist untrennbar verflochten mit Politik und Religion. So rangierte im letzten Jahr die Diskussion zwischen den Präsidentschaftsbewerbern Al Gore und George W. Bush über Baseball für deren Wahlkampfberater ganz oben; der richtige Lieblingsspieler oder die Haltung zur Kunstrasenzulassung lagen noch vor dem Thema Abtreibung. In den 60-er Jahren stampften die Mormonen mit viel Geld ein eigenes Baseballprogramm aus dem Wüstenboden Utahs. Aufgenommen in eine der Mormonenmannschaften wurde nur derjenige, der sich auch mormonisch taufen ließ. Nach anfänglichen Erfolgen wurde das Programm eingestellt. Es war zu teuer. "Wenn man in 2000 Jahren unsere amerikanische Zivilisation erforscht, wird man uns drei Dinge gutschreiben: die Verfassung, Baseball und die Jazzmusik. Die drei wunderbarsten Dinge, die Amerika je geschaffen hat", sagt der schwarze Essayist Gerald Early in einem Baseballfilm des Dokumentaristen Ken Burns.

Mitch Franke steht unter der Dusche. Die Haut tut weh, und der Knöchel brennt höllisch. Kurz vor Ende des Trainings hat er einen Ball auf den Fuß bekommen. Der Fuß schwoll sofort an. Die Geschosse aus gepresstem Kork, fest umwickelt mit 300 Meter Garn und überzogen mit einem Mantel aus weißem Rindsleder, das von 216 Stichen aus rotem Zwirn zusammengehalten wird, fliegen mit durchschnittlich 120 Stundenkilometern über den Platz. Franke versucht sich nichts anmerken zu lassen und die Schwellung so gut wie möglich vor Mannschaftskollegen und Trainern zu verbergen. Morgen ist ein Spiel gegen die Giants aus San Francisco, und der Strausberger hat sich nach einer kurzen Verletzungspause gerade erst einen Platz unter den neun Feldspielern der Brewers zurückerobert. Den will er wegen dieser Schwellung nicht sofort wieder verlieren. Der junge Mann aus Deutschland weiß, dass er sich auf seinem langen Weg nicht allzu viele Fehler erlauben darf. Genauso schnell, wie er hierher kam, kann er auch wieder zurückgeschickt werden.

"Von 150 Spielern, die wir zurzeit in unseren drei Rookie Teams haben, schaffen es vielleicht fünf Prozent in die Major League", sagt Scott Martens. Der stellvertretende Leiter der Milwaukee Brewers ist auf Inspektionsreise. Er hat klare, blaue Augen und einen glattrasierten Schädel. Neben den Spielern wirkt er zart. Martens beobachtet den Nachwuchs der Brewers und entscheidet mit, wer bleiben darf, wer gehen muss und wer aufrückt. "Baseball ist ein hartes Geschäft", sagt er und lächelt, seine blauen Augen glitzern unter der Sonne Arizonas. Erst vor wenigen Tagen wurde einer der Spieler wieder nach Hause geschickt. Er hatte dem Trainer widersprochen. "Hart", sagt Martens noch einmal.

Hart, aber lukrativ: Nach dem Ankauf des Baseball-Superstars Alex Rodriguez konnte der Besitzer der Texas Rangers, Tom Hicks, mit dem Fernsehsender Fox einen 550 Millionen Dollar-Vertrag über 15 Jahre für die Übertragungsrechte der Ranger-Spiele aushandeln; Rodriguez erhält von den Rangers in den nächsten zehn Jahren 252 Millionen Dollar Gage. Die sechs bestbezahlten Spieler der Major League verdienen zusammen pro Jahr knapp eine Milliarde Dollar. Davon ist Franke noch so weit entfernt wie der Planet Pluto von der Erde. Er bekommt im Monat 850 Dollar, dazu freie Kost und Logis.

Wenn die Sonne untergeht, träumt er vom Homerun

Jetzt sitzt er auf dem Bett seines Motelzimmers im Red Roof Inn. Neben dem grauen Gebäude mit dem knallroten Dach verläuft ein Stück Highway. Über den zehnspurigen Asphalt rollt der Feierabendverkehr zurück in die Wüste, versickert zwischen den roten Felsen und den turmhohen Kakteen. Mitch Franke massiert Salbe in seinen Knöchel. Ein Bett weiter schläft ein Teamkollege aus Südafrika.

Auf dem Nachttisch mit der unvermeidlichen Gideon-Hotel-Bibel liegt ein Heft, in dem Verhaltensregeln für die Mitglieder des Rookie Teams der Brewers stehen: kein weiblicher Besuch auf den Zimmern, Bettruhe ab 23.30 Uhr, kein Alkohol, keine Zigaretten. Es gibt für das Auftreten in der Öffentlichkeit Anstandsregeln und Dresscodes. Wozu gehört, dass Baseball Fun ist und man nur gewinnen kann, wenn man gut drauf ist. Franke legt die Salbentube auf das Heft und sagt: "Ich habe mich nicht abgeschunden, um hier zu scheitern."

Auf dem Bett im Red Roof Inn träumt er davon, einen Homerun hinzukriegen: den Ball über die Stadionbegrenzung weit hinaus in die Wüste zu schlagen und mit einem einzigen Lauf alle vier Bases hinter sich zu lassen. Die Amerikaner nennen den Homerun auch liebevoll "Homer". Diese Homer-Geschichten erzählen gleich jenen des großen Griechen, von Männern, die durch eine individuelle Tat die Gemeinschaft retten. Denn der Spieler, der einen Homerun macht, darf alle Kameraden, die auf den verschiedenen Bases stehen, mit zur Homebase nehmen. Nach Hause, wie einst Odysseus.

Am nächsten Tag macht Mitch Frank keinen Homerun, aber zwei Hits und einen Wurffehler. Nach dem Spiel sagt Scott Martens: "Wir werden ihn im Auge behalten." Das klingt nach Versprechen. Und nach Drohung.


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Chiller
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Beitrag von Chiller »

der Artikel ist wirklich :cool:
Ich wßte gar nicht, dass es dort soooo hart zugeht :eek:Bild
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